IN VINO SANITAS

An Weihnachten schützt Wein die Gesundheit besonders 

von Nicolai Worm

"Ein Tag ohne ein Glas Wein ist ein Risiko für unsere Gesundheit". Dies sagte nicht etwa ein weinseliger Winzer auf der verzweifelten Suche nach Verkaufsargumenten, sondern Professor Curtis Ellison, Chefepidemiologe an der University von Boston (USA), vor einem Jahr auf einem internationalen Fachkongress im Deutschen Herzzentrum in München. Eine gerade veröffentlichte Langzeitstudie aus Dänemark bestätigt ihn: Weintrinker haben bei geringer, mittlerer und selbst bei hoher Alkoholzufuhr eine niedrige Herzinfarkt- und Gesamtsterblichkeit - niedriger als Abstinente und vor allem niedriger als Bier- und Spirituosenliebhaber.

Schon in der Schöpfungsgeschichte wird Wein als etwas Besonderes beschrieben. Noah, ein weiser Mann, hatte offenbar schon vor der Sintflut das Wissen, wie man Wein anbaut; nach seiner Landung stieg er von Bord der Arche und pflanzte eine Weinrebe an und baute den Wein aus (Gen 9, 20). Noah gilt damit als erster Winzer dieser Welt, der sich allerdings auch am Wein berauschte - mit bösen Folgen für seinen Enkel Kanaan (Gen 9, 21 - 25). Die Bibel ist aber auch voller Hinweise auf die wohltuende Wirkung des Weines. Am bekanntesten dürfte das Wort von Paulus an Timotheus sein: "Trinke nicht mehr Wasser, sondern brauche ein wenig Wein, um deines Magens willen und weil du so oft krank bist".

Weinreben

Dass nicht nur "veritas", sondern auch viel "sanitas" im Wein liegt, das wusste man schon in der Antike. Hippokrates führte den Wein um 400 vor Christus "offiziell" in die Heilkunst ein. Er nutzte ihn als Kräftigungsmittel für Genesende, als Beruhigungs- und Schlafmittel, bei Kopfweh und Verstimmungszuständen, als Schmerzmittel, bei Herz-Kreislaufstörungen und sogar bei Augenkrankheiten. Außerdem verschrieb er Wein bei Völlegefühl, bei bakteriellen und toxisch bedingten Darmerkrankungen und als Harn treibendes Mittel. Äußerlich wurde dieser zur Wundbehandlung eingesetzt.

Im alten Rom verordnete man schwere rote Weine gegen fieberhafte Magen-Darmerkrankungen, bei Blutungen gerbstoffreiche Weine und gegen Appetitlosigkeit alte Weine. Daneben empfahl man den Rebensaft für Umschläge, Einreibungen und Massagen, vor allem bei offenen Wunden von Schwerverletzten.

Und noch 1892 erklärte die Ortskrankenkasse in Heidelberg in Absprache mit den Kassenärzten eine Flasche Wein als verschreibungsfähiges Therapeutikum. Dann begann der Siegeszug der Pharmazie, und Wein verschwand aus der Heilkunde. Die moderne medizinische Forschung hat erst seit Ende der siebziger Jahre seine vorbeugende Wirkung wieder entdeckt und versucht seitdem, diese mit modernen Methoden zu ergründen.

Wein ist mehr als Alkohol

Wein besteht zu 80 bis 85 Prozent aus Wasser und zu 15 bis 20 Prozent aus verschiedenen Inhaltsstoffen. Diese sind abhängig von den Traubensorten und deren Reifegrad, von Jahrgang, Bodenart, Düngung, Klimafaktoren und Art der Weinbereitung. Verschiedene essenzielle Nährstoffe finden sich im Wein.
Bei den Vitaminen sind einige aus der Gruppe der B-Vitamine sowie das Vitamin C in interessanter Menge enthalten. Bezüglich der lebenswichtigen Mineralien und Spurenelementen kann Wein für Kalium und Magnesium sowie für Eisen, Kupfer und Mangan in beachtlichem Maß zur Bedarfsdeckung beitragen. Außerdem sind Hunderte von verschiedenen Polyphenolen enthalten.

Alkohol gegen Herzinfarkt

Herzinfarkt ist der "Killer" Nummer 1 in der westlichen Welt. Eine sichere Methode der Vorbeugung gibt es immer noch nicht. In den letzten dreißig Jahren haben Dutzende von Langzeitstudien belegt, dass ausgerechnet ein tägliches Quantum Alkohol das Herzinfarktrisiko stärker senkt als andere Lebensstilmaßnahmen. Eine "Schutzwirkung" ist schon bei einem Konsum von 10 g pro Tag nachweisbar; in den meisten Studien (an Männern) wird im Bereich von etwa 24 bis 36 g pro Tag das Herzinfarktrisiko - je nach Studie - um 20 bis 60 Prozent reduziert.

Von Alkoholgegnern wird gerne eingeworfen, dass man sich lieber mit "gesunder Ernährung" vor Herzinfarkt schützen solle. Bedauerlicherweise funktioniert das aber nicht oder man hat noch nicht herausgefunden, was unter "gesunder Ernährung" genau zu verstehen ist! Das zeigen neueste Auswertungen großer epidemiologischer Studien aus der Harvard-Universität (Boston, USA): Die Nurses' Health Study an 100 000 Frauen und die Health Professionals' Study an 50 000 Männern gelten als die aussagefähigsten Langzeitbeobachtungen zu Ernährungsfragen unserer Zeit. Mit ihren Daten hat man den Zusammenhang zwischen einer "gesunden" Kost, wie sie durch die offiziellen Ernährungsrichtlinien der USA definiert ist, und der Sterblichkeit analysiert.

Das Ergebnis dürfte bei den Ernährungsberatern für großes Unbehagen sorgen. Ob die Damen und Herren sich maximal oder minimal "gesund" ernährten: Bei Frauen fand sich kein Unterschied hinsichtlich Herzinfarkt-, Krebs- und Gesamtsterblichkeit. Bei den besonders "gesund" ernährten Männern war wenigstens ein geringfügiger Effekt nachweisbar. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen übrigens nicht, dass es völlig gleichgültig sei, was man esse. Vielmehr beweise dies, dass in den letzten vierzig Jahren falsche Kriterien für "gesunde Ernährung" definiert worden sind. In beiden Harvard-Studien hatte man in Übereinstimmung mit rund vierzig weiteren Studien festgestellt, dass die Herzinfarkt- und Gesamtsterblichkeit schon mit einer moderaten täglichen Alkoholmenge, unabhängig von anderen Einflussfaktoren, signifikant sinkt. Es sieht also ganz so aus, als ob gerade Alkohol, in sinnvoller Dosis genossen, ein besonders wichtiger Bestandteil der gesunden Ernährung ist!

Alkohol und Reinfarkt

Herzinfarktpatienten sind von einem deutlich erhöhten Risiko bedroht, einen Reinfarkt zu erleiden. Einer der gravierendsten Risikofaktoren ist Bluthochdruck. Weil Alkohol ab 15 oder 20 g den Blutdruck steigert, ist die Auffassung weit verbreitet, man müsse den Konsum von Alkohol gänzlich unterlassen.

Doch die einzige Studie, die diese Fragestellung konsequent untersucht hat, weist darauf hin, dass leichter Alkoholgenuss die Prognose von Herzinfarktpatienten signifikant verbessert. Insgesamt 5358 Probanden waren fünf Jahre lang beobachtet worden. Im Vergleich zu abstinent lebenden Herzinfarkt-Rekonvaleszenten hatten diejenigen, die im Schnitt einen Drink, also circa 12 g Alkohol pro Tag konsumierten, eine um 21 Prozent reduzierte Sterblichkeit - im Herz-Kreislauf wie im Nicht-Herz-Kreislaufbereich. Das galt für die jüngeren (40 bis 64 Jahre) wie auch für die älteren Männer (65 bis 85 Jahre). Selbst im Bereich von zwei bis drei Drinks pro Tag war die Sterblichkeit in allen untersuchten Kategorien im Trend niedriger als bei abstinent lebenden Patienten.

Alkohol und Hirninfarkt

In der westlichen Welt gehört der ischämische Hirninfarkt zu den häufigsten Todesursachen. Hämorrhagischer Hirninfarkt ist dagegen eher selten. Eine Reihe epidemiologischer Studien zeigt übereinstimmend eine signifikante Senkung der Gesamt-Hirninfarktrate bei leichtem bis moderatem täglichen Alkoholkonsum. In der berühmten Copenhagen City Heart Study ist dieser "Schutzeffekt" allerdings nicht für Bier- und Spirituosen, sondern ausschließlich für regelmäßigen Weinkonsum festgestellt worden.

Wie schützt Alkohol? Die Schutzwirkung des Alkohols gegen Herz-Kreislauferkrankungen ist mit biologisch plausiblen Wirkmechanismen erklärbar. Der Alkohol moduliert den Lipidstoffwechsel: Das HDL-Cholesterol wird dosisabhängig deutlich angehoben und gleichzeitig das LDL-Cholesterol etwas gesenkt, womit der LDL/HDL-Quotient klar verbessert wird.

Zur Infarktprophylaxe ist ein weiterer Effekt möglicherweise noch wichtiger: Alkohol hemmt die Thrombozytenaggregation und fördert die Fibrinolyse und mindert somit das Thromboserisiko. Damit wird nicht nur eine Senkung des Herzinfarkt-, sondern auch des Hirninfarktrisikos erklärt. Andererseits fördert dieser Effekt aber auch das Risiko für spontane Blutungen und damit für hämorrhagischen Hirninfarkt. Der ist in Asien die dominierende Todesursache und wird dort nachweislich durch höheren Alkoholkonsum gefördert. In der westlichen Welt hingegen kann moderater Alkoholgenuss als Hirnschutzfaktor eingestuft werden.

Moderater Alkoholgenuss wirkt darüber hinaus Gefäß dilatierend und -relaxierend, und auch dies betrachtet man als Schutz für Herz- und Kreislauf. Außerdem scheint Alkohol die Proliferation der glatten Gefäßmuskelzellen zu hemmen und somit der Arterioskleroseentwicklung entgegen zu wirken.

Abstinenz, ein Risikofaktor für Herz und Hirn? Die wissenschaftlichen Belege für eine günstige Wirkung moderaten Alkoholkonsums sind so erdrückend geworden, dass Alkoholabstinenz inzwischen sogar in den neoprohibitionistisch beeinflussten USA von der Fachvereinigung für Kardiologie, dem American College of Cardiology, in die Liste der modifizierbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen aufgenommen wurde.

Diese Position wird von Alkoholgegnern üblicherweise in Frage gestellt. Es wird argumentiert, dass Abstinenz in den meisten Studien nur deshalb mit einer im Vergleich zu moderatem Alkoholkonsum erhöhten Sterblichkeit einhergehe, weil sich diese Gruppe in den dokumentierten Studien zu einem erheblichen Anteil aus kranken beziehungsweise durch Alkohol vorgeschädigten Menschen zusammensetzen würde, die deshalb ein entsprechend erhöhtes Risiko aufwiesen.
Diese "Sick-Quitters-These" ist aber kürzlich von ihrem Begründer, dem bekannten Professor Gerald Shaper aus London, selbst widerlegt worden. In einer Nachanalyse seiner Studie hatten seine lebenslang Abstinenten eine signifikant höhere Sterblichkeit als die Ex-Trinker und wie zu erwarten eine wesentlich höhere Sterblichkeit als diejenigen, die regelmäßig Alkohol in moderater und sogar höherer Menge (über 54 g/d) konsumierten. Allerdings konnte er das hohe Risiko für die allzeit abstinenten Menschen auch nicht erklären.

Es bleibt also dabei: Da Herz- und Hirninfarkte die anteilmäßig wichtigsten Todesursachen in den meisten Ländern der industrialisierten Welt sind, geht mit moderatem Alkoholgenuss auch eine deutliche Senkung der Gesamtsterblichkeit einher. Erst bei unmäßigem Genuss steigt die Gesamtsterblichkeit im Vergleich zu moderatem Konsum wieder an und erreicht mit höheren Dosen zunächst das Risiko von Abstinenten, um bei weiterhin gesteigerter Alkoholzufuhr dann expotenziell anzusteigen. Die hohe Sterblichkeit bei Alkoholmissbrauch erklärt sich im Wesentlichen durch Unfälle, Selbstmord, Leberzirrhose und vor allem durch Krebs.

Alkohol und Krebs

Alkohol ist eine Krebs fördernde Substanz. Das betrifft neben der Leber vor allem die oberen Verdauungsorgane, das heißt Gaumen, Schlund, Kehlkopf und Speiseröhre. Bereits ab einer Dosis von rund 20 g beginnen die relativen Risiken für diese typischen "alkoholabhängigen" Krebsarten zu steigen. Diese sind aber im Vergleich zu anderen Todesursachen relativ selten, so dass das Krebsrisiko durch diese Alkoholmenge insgesamt noch nicht beeinflusst und von dem Rückgang der Herz-Kreislaufsterblichkeit bei weitem überdeckt wird. Im Klartext: Leichter Alkoholkonsum steigert üblicherweise nicht das Krebsrisiko.

Während die Datenlage für Dickdarmkrebs uneinheitlich ist, gilt gemeinhin der Zusammenhang zwischen Alkohol und Brustkrebs als gut belegt. Jedoch sind die verschiedenen Studien zum Alkoholeinfluss nicht einheitlich ausgefallen. Einige Studien konnten keinen Zusammenhang aufzeigen. Anfang 1999 hat die bekannte Framingham-Studie im Trend sogar ein niedrigeres Brustkrebsrisiko für moderaten Alkoholgenuss im Vergleich zur Abstinenz erbracht. Zudem gilt zu bedenken, was der amerikanische Krebs-Epidemiologe Longnecker errechnete: Nur etwa 2 Prozent aller Brustkrebsfälle sind auf Alkoholkonsum zurückzuführen, und moderater Alkoholkonsum bringt folglich - bei einer damit verbundenen Senkung der Gesamtsterblichkeit im Bereich von 5 bis 20 Prozent - den meisten Frauen deutlich mehr Gesundheitsvorteile als Nachteile.

Schützt der edle Tropfen vor Krebs?

Einige exponierte Krebsexperten in Deutschland haben in den letzten Jahren häufiger die Botschaft verbreitet, dass "ein Glas Wein bereits eines zu viel sei". Dabei übersehen sie Entscheidendes: Alkohol ist ganz offensichtlich nicht gleich Alkohol! Beispielsweise wurde in einer Multizenterstudie des amerikanischen National Cancer Institute beobachtet, dass Bier- und Spirituosenkonsum mit einem deutlich erhöhten Risiko für Speiseröhrenkrebs, moderater Weinkonsum hingegen mit einem um 40 Prozent reduzierten Risiko im Vergleich zur Abstinenz assoziiert war. Oder die berühmte Nancy-Studie von Professor Renaud: Bei seinen 34 000 Männern, die als Franzosen natürlich überwiegend dem Weingenuss fröhnten, war die Krebssterblichkeit bei einer täglichen Dosis von 22 bis 32 g Alkohol sogar signifikant gesenkt. Das Krebsrisiko erreichte bei Mengen zwischen 55 und 75 g/Tag das Risiko von Abstinenten, und erst bei höheren Dosen stieg es deutlich an.

In Dänemark wird zur Zeit an drei großen Kohorten der Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs eruiert. Jüngst konnte ein Pooling ihrer Daten bestätigen, dass moderater Weinkonsum (12 bis 36 g Alkohol pro Tag) mit einer reduzierten Rate an Mund-, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs einherging, während bei Bier- und Spirituosenkonsum das Risiko signifikant erhöht war. In der neuesten Auswertung wurde weiterhin belegt, dass bei dieser Dosis auch die Sterblichkeit an Krebs insgesamt signifikant zurückging und erst bei höherer Dosis geringfügig anstieg.

Diese bedeutende Langzeitstudie an 11 500 Frauen und 13 000 Männern hat auf Grund der günstigen Ergebnisse im Krebsbereich ergeben, dass selbst bei fünf Drinks und mehr am Tag (mehr als 60 g Alkohol pro Tag) die Gesamtsterblichkeit bei Weintrinkern weit niedriger ist als bei Abstinenten und bei Bier- und Spirituosenliebhabern. Dabei kann diese dänische Studie als besonders aussagefähig gelten, da die Dänen alle Alkoholika mit gleicher Vorliebe trinken; somit kann man sicherstellen, dass nicht soziale Unterschiede und ein damit einhergehender gesünderer Lebensstil der Weintrinker für diesen Gesundheitseffekt verantwortlich sind. Außerdem hatte man alle bekannten Störvariablen statistisch mit einbezogen (multivariat adjustiert).

Und selbst bei Brustkrebs ist Wein nicht mit anderen Alkoholika zu vergleichen. Kürzlich wurden in einer Meta-Analyse alle großen Langzeitstudien an Frauen zusammengefasst, um das Brustkrebsrisiko möglichst genau abzuschätzen. Pro zehn Gramm Alkohol steigt demnach das relative Risiko im Mittel um sieben Prozent. Der Effekt ist erst bei Dosen von über 30 g/Tag statistisch signifikant. Bei Differenzierung der verschiedenen Alkoholika zeigte sich, dass das Brustkrebsrisiko für Weinkonsum niedriger ausfällt (5 Prozent Steigerung pro zehn Gramm Alkohol) und im Gegensatz zu Bier- und Spirituosenkonsum statistisch nicht signifikant ist, da die Studien im Ergebnis streuen. Bei einigen war Wein mit niedrigerem Risiko assoziiert.

In allen Studien gelangten die Autoren zu dem Schluss, dass gewisse Inhaltstoffe des Weins für die Reduktion des Krebsrisikos verantwortlich sein könnten.

Wunderwaffen im Wein

Hunderte von Pflanzenstoffen finden sich im Wein: die Polyphenole. Sie gehen bei der Weinbereitung aus der Beerenhaut und dem Fruchtfleisch und sogar aus Stängel und Kernen in die Flüssigkeit über. Dazu zählen Phenolsäuren, Tannine, Proanthocyanidine und Anthocyane, Catechin, Quercetin sowie weitere Flavonoide. Der Polyphenolgehalt des Weins hängt von der Sorte ab, aber von auch Boden- und Kulturbedingungen und nicht zuletzt von den Herstellungs- und Gärtechniken. So enthält zwar Rotwein im Mittel etwa sechs- bis siebenmal mehr Polyphenole als Weißwein (rund 4000 bis 7000 mg/l), aber bei entsprechender Technologie lassen sich auch sehr Polyphenol-reiche Weißweine kreieren.

Die Polyphenole erregen heute bei den Experten besonderes Interesse, primär als hochpotente Antioxidantien. Und sie wirken gegen Krebs: Vor allem Resveratrol zeigt im Experiment in allen Phasen der Krebsentstehung, das heißt bei Initiierung, Promotion und Progression, ein antikarzinogenes Profil. Ähnliches wurde auch für Catechin und Quercetin festgestellt. So kann man sich vorstellen, dass diese Stoffe im Wein das vom Alkohol gesetzte Risiko ganz oder sogar im Übermaß kompensieren und dies erst ab einer höheren Alkoholdosis nicht mehr möglich ist.

Zusätzlich heben Polyphenole das HDL- und senken das LDL-Cholesterol. Daneben hemmen sie die Thrombozytenaggregation und Koagulation. Und sie wirken Gefäß erweiternd und -entspannend, senken damit den Blutdruck und beugen Gefäßverkrampfungen unter Stress vor.

Die Dosis macht's

Auch wenn manche es nicht akzeptieren wollen, die Datenlage ist eindeutig: "Täglich Wein" ist besser als gelegentlich Wein oder gar kein Wein. Allerdings stellt sich sofort die Frage, was als sinnvolle Dosis gelten kann. Nachdem aus einleuchtenden Gründen keine mit "Placebo-Wein" kontrollierte randomisierte, klinische Studie machbar ist, muss man sich mit epidemiologischen Daten behelfen. Doch die sind traditionell "weich", das heißt von allen nur erdenklichen, nicht immer kontrollierbaren Störvariablen abhängig. So fällt auf, dass seit jeher in US-Studien der Nadir der geminderten Sterblichkeit bei Männern im Bereich von einem Drink pro Tag liegt, also bei circa 12 g Alkohol. Bei europäischen Studien hingegen verzeichnet man die niedrigste Sterblichkeit überwiegend bei einer zwei- bis dreifach höheren Dosis.

Ist es denkbar, dass Amerikaner über eine andere Biologie verfügen? Oder gibt es alternative Erklärungen für dieses Phänomen? Professor Curtis Ellison meinte auf der anfangs erwähnten Tagung dazu kurz und prägnant in aller Öffentlichkeit: "Wenn es um Trinkgewohnheiten geht, lügen meine Landsleute wie gedruckt." Wenn man also in den USA bei einem Drink das niedrigste Risiko findet, könnten sich noch ein oder zwei verheimlichte Drinks dahinter verbergen. So sollten engagierte Experten künftig einerseits die "political correctness" in den USA in ihre Überlegungen einbeziehen oder aber die europäischen Daten stärker beherzigen.

Das englischen Gesundheitsministerium hatte 1995 unter Berufung auf internationale Expertengremien die "Sensible Drinking Guidelines" für ihre Bevölkerung formuliert. Danach kann eine tägliche Dosis von bis zu 24 g Alkohol für die gesunde Frau und bis zu 32 g für den gesunden Mann empfohlen werden. In diesem Bereich übertreffen die zahlreichen gesundheitlichen Vorteile die Risiken bei weitem, und die Gesamtsterblichkeit ist bei dieser Dosis wesentlich niedriger als bei Abstinenz.

Diese Richtlinie ist in der Praxis einfach einzuhalten: Ein durchschnittlicher deutscher Wein enthält im Schnitt 10 Volumenprozent Alkohol. Das entspricht genau 80 g Alkohol pro Liter. Die besagten 24 g für eine Frau sind mit 0,3 Litern und die 32 g für einen Mann mit 0,4 Litern Wein erreicht. Als praxisnahe Empfehlung kann deshalb gelten: Eine Flasche Wein pro Tag für ein Paar - gerecht verteilt - ergibt die gesunde Dosis.

Wer ein Gläschen mehr trinkt oder diese zwei oder drei Gläser mit einem schwereren Wein füllt, bei dem steigt im statistischen Mittel das Gesundheitsrisiko wieder an, jedoch im Vergleich zur Optimaldosis und nicht im Vergleich zu Abstinenz. Das gilt insbesondere für Senioren. Da die Risikofaktoren normalerweise mit dem Alter in Häufigkeit und Ausprägung zunehmen, sollte man - sofern man Wein an sich genießt - gerade im höheren Lebensalter nicht auf das tägliche Quantum verzichten. Nicht umsonst sagt ein italienisches Sprichwort: "Der Wein ist die Milch der Alten".

Wein zum Essen

Wein gehört zu einem guten Essen wie das Salz zur Suppe. Ein Glas Wein zu den Speisen hebt nicht nur den Genuss, sondern fördert die Magen- und Darmfunktion und trägt damit entscheidend zu Wohlbefinden und Gesundheit bei. Insbesondere die Stunden nach dem Essen sind für die Gesundheit mitentscheidend. Nach einer Mahlzeit steigen Triglyceride und Triglycerid-reiche Lipoproteine im Blut an, die über das gleichzeitig ansteigende Insulin in sehr viel kleinere Partikel, die Triglycerid-reichen Remnants und kleine dichte LDL-Partikel, zerlegt werden. Diese oxidieren besonders schnell und schädigen in diesem Zustand direkt die Gefäße. Insulinresistente Menschen, also viele Millionen von übergewichtigen bewegungsarmen Mitbürgern, sind davon besonders betroffen. Ein Graus für die Blutgefäße!

So sollte man gerade an den opulenten Weihnachtstagen keinesfalls auf Wein verzichten. Wenn man zu den Mahlzeiten ein oder zwei Gläser eines an Antioxidantien beziehungsweise Polyphenolen reichen Weines trinkt - was zumeist auf Rotwein hinausläuft -, erhöht sich das antioxidative Potenzial im Blut derartig, dass dieser bedrohliche oxidative Stress völlig neutralisiert werden kann.

Zweifelsohne kann Wein auch ein Rauschmittel mit erheblichem Sucht- und Schädigungspotenzial sein. Doch in den Ländern, in denen der Konsum am höchsten ist, wird Wein überwiegend zum Essen konsumiert. Wer, wie in Südeuropa üblich, mit dem Trinken aufhört, sobald das Essen beendet ist, beugt dem Missbrauch vor. Diese Ess- und Trinkkultur der Mittelmeerländer auch in unseren Breitengraden einzuführen, könnte unser erstes Neujahrsversprechen sein.

erschienen in : Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 50/2000, Dezember 2000

Autor: Dr. Nicolai Worm
E-mail: nicolai.worm@t-online.de  

Buchtipp Von Nicolai Worm gibt es ein empfehlenswertes Buch, das mehrere Buchpreise erhielt und 1997 vom internationalen Weinamt in Paris als bestes Buch zum Thema "Wein und Gesundheit" ausgezeichnet wurde.
Anhand der Kulturgeschichte des Weins mit Anekdoten aus der Antike wird gezeigt, dass Abstinenzler auch heute noch gefährlicher leben. Viele wunderschöne Bilder von Kulturlandschaften mit Wein lockern die Seiten mit wissenschaftlicher Information auf. Ein gut recherchiertes Literaturverzeichnis lädt zur Überprüfung der Thesen und zum weiterführenden Weinstudium ein.

Nicolai Worm: "Täglich Wein - gesünder leben mit Wein und mediterraner Ernährung", Hallwag-Verlag, Bern 1996, ISBN: 3-444-10472-3


Der Autor Nicolai Worm, Jahrgang 1951, ist ein bekannter Ernährungswissenschaftler. studierte Oecotrophologie an der TU München und promovierte an der Universität Gießen. Von 1979 bis 1985 war er am Institut für Sozialmedizin, Prävention und Rehabilitation in Tutzing/Starnber­ger See als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und arbeitete dort schwerpunktmäßig an epidemiologischen Fragestellungen im Bereich „Nahrungsfett und Koronare Herzkrankheit“. Seit 1986 ist er selbstständig als wissenschaftlicher Berater und Dozent tätig. Unter anderem übernahm er Lehrtätigkeiten im Bereich Sporternährung (TrainerAkademie, Deutscher Sportbund, Köln; Universität Innsbruck). Seit 2008 ist er Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHPG) in Saarbrücken.